Hass. Zu Formen öffentlicher Feindbildgenerierung als Mittel politischer Wir-Gruppen-Bildung (Gerhard Donhauser)

Universität Wien, Vorlesung  u:find - 180083 VO Hass (2022S) (univie.ac.at)

Soziale Identitätsbildungen hängen mit sprachlichem Ausdruck, kollektiven Erinnerungen und kulturellem Gedächtnis zusammen. Keinesfalls selten scheinen sie (auch) über Ein- und Ausgrenzungen zu erfolgen, wobei sich „Freund-Feind“-Dichotomien (Carl Schmitt) offenkundig immer wieder als erfolgreich erweisen. Sie korrelieren mit „asymmetrischer Gegenbegriffe“ (Reinhart Koselleck) und erlangen vor allem dann politische Wirksamkeit, wenn sie mit sehr „feindlichen Gefühlen“ (Aurel Kolnai), wie insbesondere Hass, aufgeladen sind.

Welche eigenen Persönlichkeitsanteile werden dabei jeweils abzuwehren gesucht? Was bedeutet „soziale Identität“? Lässt sich dieser Begriff im Singular überhaupt denken? Kommen Gesellschaften umgekehrt überhaupt ohne Feindbilder aus? Oder sind letztere (in ihrer kognitiven wie emotionalen Dimension) konstitutiv für so etwas wie Zusammengehörigkeitsgefühle innerhalb größerer Gruppen? Gibt es Personen bzw. Personengruppen, die sich, z. B. aufgrund tradierter feindseliger Bezugnahmen auf sie, als Feindbilder besser eignen als andere – oder kann die Auswahl gar beliebig erfolgen?
Vermögen liberale (oder sich doch so definierende) politische Gemeinwesen strukturell gegensteuern bzw. erachten sie dies überhaupt als opportun?

Es hat den Anschein, als eigneten sich soziale Netzwerke mit ihrem hohen Maß an potentieller Anonymität dazu, aversive Gefühle wie Hass und Wut in sich selbst überbietender Weise zu steigern. Der Messaging-Dienst Telegram etwa scheint inzwischen sogar explizite Mordaufraufe zu transportieren. Doch auch in anderen Internet-Plattformen (selbst in Kommentaren der online-Ausgaben klassischer Medien) findet sich eine teils sehr explizite Sprache. Sofern doch einmal etwas besonders Hässliches unter den Tisch fallen sollte, können ein von vielen Followern registrierter Retweet oder sonstige Formen der Weiterleitung helfen. Die Hassobjekte sind prinzipiell variabel, feindselige Bezugnahmen auf sie allerdings immer wieder geeignet, identitätsstiftende Wirkung innerhalb bestimmter Gruppen zu entfalten, wobei sich diese Gruppen möglicherweise überhaupt erst auf Basis geteilter Feindbilder als Wir-Gruppen konstituieren.

Dafür, dass sich Gefühle von Wut und Hass politisch instrumentalisieren lassen, sofern es gelingt, eine wie auch immer definierte Menge von Menschen potentiellen Angehörigen einer anderen (meist mengenmäßig größeren) sozialen Gruppe als feindlich zu präsentieren, lassen sich historisch zahlreiche Beispiele finden. Eines davon, das vielen vermutlich noch in gut Erinnerung ist, stammt aus dem Januar 2021. Kurz bevor sein Nachfolger angelobt werden sollte, gelang es dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump, eine durchaus beachtliche Menge von Anhängerinnen und Anhängern zu mobilisieren, nach Washington zu reisen und für ihn zu demonstrieren. In einer einstündigen Brandrede gegen jene, von denen er ohne jede Beweisgrundlage behauptete, sie hätten einen gewaltigen „Wahlbetrug“ an ihm vollzogen, vermochte es Trump in weiterer Folge, einen großen Teil dieser Demonstrantinnen und Demonstranten zur Erstürmung des Kapitols zu motivieren. Am Ende waren fünf Menschen tot, und die Institutionen der repräsentativen Demokratie schienen ernsthaft beschädigt, nicht nur in den Vereinigten Staaten.